Quantcast
Channel: Rechtslupe » Ruanda
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

Der ruandische Bürgermeister und der Frankfurter Völkermordprozess

$
0
0

Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat den 56-jährigen ruandischen Staatsbürger Onesphore R. der Beihilfe zum Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.

Die in dem zentralafrikanischen Land Ruanda lebende Bevölkerung wird seit frühester Zeit in die Gruppen der Hutu, der Tutsi und der Twa eingeteilt, wobei die Hutu die Bevölkerungsmehrheit ausmachen. Von April bis Juli 1994 fand in Ruanda ein Genozid statt. Angestachelt von einer rassistischen Propaganda maßgebender Teile des damaligen Regimes töteten Angehörige der Hutu systematisch einen Großteil der in Ruanda lebenden Tutsi sowie gemäßigte Hutu, die in Opposition zur Regierung standen. Es hatten sich die extremistischen Interahamwe-Milizen gebildet, die Tutsis angriffen und verfolgten. Diesem Genozid fielen zwischen einer halben und einer Million Menschen zum Opfer. Im Zuge dieser Geschehnisse fand auch das sog. “Kirchenmassaker von Kiziguro” statt, an dessen Durchführung sich der Angeklagte in seiner Funktion als Bürgermeister der ruandischen Gemeinde Muvumba beteiligte. Auf dem Gelände der Kirche hatten mindestens 450 Menschen – wahrscheinlich aber weitaus mehr – vor den rassistischen Gewalttaten Schutz gesucht. Bis zum 11.04.1994 rotteten sich um das Gelände Hunderte von Soldaten, Gendarmen, Gemeindepolizisten sowie Angehörige der Interahamwe-Milizen und Zivilisten, die mit Macheten, Beilen, Hacken und ähnlichem Werkzeug bewaffnet waren, in der Absicht zusammen, das Kirchengelände anzugreifen. Gemeinsam mit anderen Autoritätspersonen gab der Angeklagte am Vormittag des 11.04.1994 den Befehl zum Angriff. Daraufhin töteten die Angreifer die allermeisten der auf dem Kirchengelände befindlichen Menschen überwiegend mit den mitgebrachten Waffen auf sehr grausame Weise. Es kam auch zu Plünderungen. Tutsi-Frauen und -Mädchen wurden von Angreifern vergewaltigt. Während des Massakers fuhr der Angeklagte davon und sorgte dafür, dass einige Zeit später weitere mit Macheten, Keulen und Ähnlichem ausgestattete Hutu am Kirchengelände erschienen, um sich am Töten zu beteiligen. Zeitweilig überwachte der Angeklagte den Transport der Leichen zu einer außerhalb gelegenen Grube. Zudem beteiligte er sich an der Organisation und Überwachung der Angreifer, die das Kirchengelände umzingelten, um ein Entweichen von Tutsi-Flüchtlingen zu verhindern.

In der Folgezeit flüchtete der Angeklagte zunächst nach Tansania und dann in den Kongo, von wo aus er im Jahr 2002 mit seiner Familie nach Deutschland reiste und Asyl beantragte. Nach Ablehnung seines Asylantrags erhob der Angeklagte Klage zum Verwaltungsgericht, das feststellte, dass der Angeklagte nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in Ruanda politische Verfolgung drohe. Aufgrund dieses Strafverfahrens ist ein Verwaltungsverfahren zur Beendung seines Aufenthalts in Deutschland eingeleitet worden.

Bei der Strafzumessung hat das Oberlandesgericht Frankfurtu.a. die seit der Tat verstrichene Zeit von fast 20 Jahren, in der sich der nicht vorbestrafte Angeklagte straffrei geführt hat, und die hohe Anzahl der getöteten Personen sowie die Grausamkeit der Tötungen berücksichtigt.

Eine Verurteilung wegen täterschaftlichen Völkermordes konnte nicht erfolgen, weil das Gericht nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen konnte, dass dem Angeklagten beim Massaker eine derart wesentliche Funktion zukam, dass er durch seinen Tatbeitrag Tatherrschaft über diejenigen hatte, die die Tötungen unmittelbar ausführten. Deshalb hat das Gericht den Angeklagten in Anwendung des Grundsatzes “In dubio pro reo” der Beihilfe zum Völkermord schuldig gesprochen.

Der Angeklagte befand sich 2008/2009 über vier Monate in Untersuchungshaft. Nachdem er zwischenzeitlich aus der Haft entlassen worden war, wurde er am 26.07.2010 erneut inhaftiert. Das Oberlandesgericht hat die Fortdauer dieser Untersuchungshaft angeordnet.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 18. Februar 2014 – Aktenzeichen 5-3 StE 4/10 – 4 – 3/10


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

Latest Images





Latest Images